JahresRückblick 2021

Im vorletzten Jahr habe ich es nicht über mich gebracht, einen Rückblick zu schreiben. Nicht wegen Corona. In meiner persönlichen Situation war mir Corona ziemlich egal, weil mich irgendwelche Beschränkungen eh nicht betrafen. Ich wollte niemanden treffen und wegen meiner Schmerzen konnte ich auch nichts außer Haus tun, das mir grundsätzlich Freude gemacht hätte wie Kino, Schwimmen oder Zoo. Ging einfach nicht.

Das war 2021 nicht anders. Ich wäre versucht, zu behaupten, daß sich für mich in den letzten zwölf Monaten im Vergleich zu vorher überhaupt nichts verändert hat, aber das stimmt nicht, wie mir jetzt auffällt. Okay, ich habe immer noch keine neuen Schuhe, sitze noch immer Vollzeit daheim und kann nicht gehen – aber es gibt viele Zeichen dafür, daß die Dinge insgesamt besser geworden sind. Zum Beispiel habe ich 2020 etwa drei Monate (etwas mehr) komplett im Bett verbracht, weil ich so säuische Schmerzen hatte. 2021 war es weniger, insgesamt ein paar Wochen. Wenn ich es auf’s Sofa schaffe, kann ich lesen, lernen, an den Rechner, Videos gucken, malen. Das alles geht im Bett nicht. Es gab 2021 also weniger richtig üble Zeiten. Die Schmerzen sind insgesamt auch weniger geworden, wenngleich meine Füße oft steif sind und wehtun, weil die Schuhe halt zu eng sind. Der Schuhmacher und ich arbeiten dran. Ich sollte bereits neue Schuhe haben, aber er war mehrmals krank, also wird das wohl erst im Frühjahr klappen. Bisher bin ich 27 Monate ohne passende Schuhe – etwas, das sich ein normalfüßiger Mensch wohl schwerlich vorstellen kann. Ich denke, ich sehe jetzt viel klarer, was ich brauche. Ja, ich bin schwierig zu versorgen, aber es gibt auch nur wenige Menschen, die je so schwer krank waren und so deformierte Füße haben wie ich. Ich habe also letztes Jahr eine Menge darüber gelernt, wie Schuhe für mich sein müßten. Ich denke auch, beim nachfolgenden Paar, das irgendwann kommen wird, muß nochmal ein ganz neuer Leisten über einen neuen Abdruck gebaut werden, denn Füße verändern sich eben schon stark in zwei, drei Jahren ohne Gehen. Da liegt also noch eine Reise vor mir. Die Zwischenzeit, als die ich das alles noch immer empfinde, ist aber erträglicher, wenn man nicht ständig darüber nachdenkt, daß man wegen der Schmerzen lieber tot wäre. Ja, es ist also wirklich besser geworden. An manchen Tagen kann ich sogar putzen und Salat schnippeln, beim Kuchenbacken helfen oder 300 Seiten lesen. Das trägt sehr zu meiner Zufriedenheit bei, denn ich bin ein chronischer Macher. Ich liebe es einfach, wenn ich Dinge machen kann und das Gefühl habe, etwas zu schaffen.

2021 war für mich ein gutes Jahr, weil ich endlich den Mut hatte, auszusprechen, daß ich hier wegwill. Weder zu dritt noch zu viert, sondern allein mit meinem Mann. Insgesamt habe ich mehr als 13 Jahre lang versucht, diese Familie auf meinem Buckel zu tragen, aber ich kann es nicht. Und ich will jetzt auch nicht mehr. Sehr zum Schock für zwei Drittel meiner Familie habe ich gesagt: ich habe Euch nichts mehr zu geben. Ich gucke jetzt nur noch nach mir. Ich fühle mich, als hätte ich einen bösen Zauber gelöst. Und mir kommt diese ganze Fußschmerznummer immer mehr wie eine längst überfällige Konfrontation mit mir selbst vor, denn ich konnte auf einmal nicht mehr wegrennen und meine Verzweiflung und Trauer mit Tun überdecken. Hingucken und annehmen war angesagt. Dabei hatte ich nochmal ein Jahr lang Unterstüzung durch meine Therapeutin, die mit mir schon die kPTBS bearbeitet hatte. Noch Anfang des Jahres 2021 sah ich keine Zukunft für mich, hatte keine Perspektive. Das hat sich geändert. Ich tue alles dafür, damit mein Mann und ich in ein paar Jahren in unsere barrierefrei Neubauwohnung mit Terrasse und Fernblick ziehen können. Es ist kein Traum mehr, sondern ein ganz konkretes Ziel.

Die Frage, wie dieses Ziel zu erreichen sei, führte mich dann zum Frugalismus. Ich glaube, ich habe erst 2021 angefangen, meine Finanzen mit völlig anderen Augen zu betrachten, als mir klar geworden ist, daß ich niemals im Lotto gewinnen oder richtig viel Geld verdienen werde. Ich kann nur mit dem arbeiten, was de facto reinkommt. Also ist Sparsamkeit auf breiter Basis angesagt, denn nur so bleibt das Geld auch wirklich hängen. Eine Cola hier und ein Stift da wirken nicht wie große Ausgaben, aber es läppert sich. Daß wir dann im Spätsommer auch noch rausgefunden haben, daß wir über Jahre hinweg beklaut worden sind, war schon sehr bitter. So bitter, daß ich meinen ganzen Frust rausgebrüllt und Schadensersatz verlangt habe. Von einem Menschen, der mein Partner war. Das ist für mich immer noch unglaublich und der Alltag mit ihm kostet mich unendlich viel Kraft. Das Vertrauen ist komplett futsch. Seit wir getrennte Konten machen, bleibt plötzlich eine Menge mehr Geld hängen, und das zu sehen, läßt mich ahnen, wie weit er gegangen ist und daß der Schadensersatz, den wir ausgehandelt haben, wahrscheinlich nicht die gesamte Summe abdecken wird. Es bestätigt mich aber auch darin, daß ich hier fertig bin und dringend weiterziehen muß.

Im Februar habe ich angefangen, Niederländisch zu lernen. Niederländisch lernt sich recht einfach und nett, auch wenn ich kaum etwas dafür tue. Es bleibt so nebenher haften, was leider dazu führt, daß es sich anfühlt, als könnte ich nichts. Ich möchte daher in diesem Jahr ein wenig mehr NL-Stunden belegen. Isländisch habe ich auch begonnen, das mache ich so nebenbei als Onlinekurs, ohne mir Mühe zu geben. Es geht mir darum, Strukturen zu begreifen. Das funktioniert ganz gut.

Ansonsten habe ich 2021 vor allem gelesen. Dieses alte Hobby in diesem Ausmaß wieder zu betreiben, tut mir einfach gut. Und Art Journaling habe ich auch wieder angefangen. Das sind zwei schöne Zufluchtsorte für mich.

An einem Ort, wo ich es nicht erwartet hätte, habe ich sehr nette Onlinemenschen getroffen, die mir sogar einen Adventskalender geschenkt und ein Weihnachtsgeschenk gemacht haben, einfach so. Das fand ich richtig toll und ich überlege schon, wie ich mich mal revanchieren könnte.

Am Jahresende habe ich meine Therapie abgeschlossen. Auch ein langwieriges Zahnprojekt konnte ich abschließen. Lose Enden einfangen.

Alles in allem war 2021 ein viel besseres Jahr als 2020. Mein Wort für 2022 heißt „Beweglichkeit“ – und das nicht nur in körperlicher Hinsicht.

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