Polyglot Gathering 2021

Schon seit ein paar Jahren wäre ich gern mal zu einem Sprachlern-Event wie der Polyglot Conference gegangen, jedenfalls theoretisch. Bis Herbst 2019 war ich unter bestimmten Umständen reisefähig, aber ich habe auch immer gewußt, daß es mich mental und körperlich überfordert hätte, den ganzen Tag im Rolli zu sitzen, mich unter so vielen Menschen aufzuhalten und dabei auch noch zu versuchen, meine Zielsprachen zu hören oder zu sprechen. Je älter ich werde und je mehr ich über mich selbst lerne, desto mehr respektiere ich meine Grenzen. Natürlich ist es schön, wenn man die Fähigkeit hat, seine Grenzen flexibel handzuhaben, aber bei mir ist es damit nicht besonders weit her. Nun ist es so, daß ich dank Corona schon einige Dinge online machen konnte, die vorher nicht im Netz stattgefunden haben bzw. angeblich nicht stattfinden konnten: Therapiestunden, Sprechstunden beim Arzt und Sprachkurse, um mal ein paar Beispiele zu nennen.

Neulich flatterte mir dann eine Einladung zum Polyglot Gathering ins Haus. Das zweite Mal findet dieses Treffen nur online statt. Im letzten Jahr hatte ich nach dem PG einige Videozusammenschnitte gesehen und mich ein wenig (oder mehr) darüber geärgert, daß ich nicht daran teilgenommen hatte und wollte eigentlich gleich nach Erhalt der Einladung buchen. Ging aber nicht. Ich fühlte mich plötzlich wie gelähmt und alle Selbstzweifel, die man so als Sprachenthusiast haben kann, ploppten auf: ich kann ja nur vier Sprachen fließend, ich habe ja nur eine einzige Muttersprache, mein Niveau ist in keiner meiner Sprachen gut oder gut genug, ich habe doch nie im Ausland gelebt, ich lerne nicht genug, ich mache keine YT-Videos und biete keine Sprachkurse an, ich will nicht im Ausland arbeiten, ich mache Fehler, zwei meiner Sprachen sind tote Sprachen und niemand braucht die, ich vergesse bestimmt alle Vokabeln und die ganze Grammatik und überhaupt, ICH KANN EINFACH GAR NICHTS!

Es ist also ganz egal, wie viele Sprachen man kann oder lernt oder liebt, diese zersetzenden Selbstzweifel scheinen bei manchen Menschen nie aufzuhören – und ich bin einer davon. Eigentlich ist das ja vielleicht auch gut so, weil es einen davor bewahrt, sich aus Selbstgefälligkeit mit Mittelmaß zufriedenzugeben, aber es fühlt sich schon wirklich mies an, wenn man sich angesichts eines so coolen Angebots aufgrund von Selbstzweifeln lieber im Bett verkriechen als daran teilhaben will. Am Ende hat mein Mann mir einen liebgemeinten verbalen Tritt verpaßt und ich habe mir das Ticket gebucht. Jetzt fühle ich mich gemischt. Enthusiastisch und hysterisch. Wie ein Überflieger und wie ein Versager gleichzeitig. Sehr schräg. Ich beruhige mich damit, daß ich ja am Ende einfach still zugucken kann. Bin nicht der einzige Mensch mit sozialer Allergie.

Für mich ist das ganze PG-Ding auch ein Lehrstück in Sachen Asperger und Hochbegabung. Das, was ich fühle, ist genau das, was man von jemandem wie mir erwarten würde. Das finde ich ein wenig beschämend, vielleicht auch belustigend und beruhigend. Allein schon, daß ich weiß, daß ich niemals alles wissen werde, was es über eine Sprache zu wissen gibt, führt dazu, daß ich mir wie ein Trottel vorkomme. Manchmal vergesse ich Vokabeln, oh Graus! Ich mache Fehler, oh Elend! Ein Native Speaker hätte das jetzt anders gesagt, oh Schmach! Ja, so eine Dramaqueen kann ich sein 🙂 Ich versuche jetzt, dem PG so gelassen wie nur möglich entgegenzublicken. Ich werde mich eh erst gegen Nachmittag dort einklinken, werde mir jeden Tag ein Lunchpaket vorbereiten und dann einfach mitnehmen, was geht. Ich bin sicher, am Ende wird es wunderbar gewesen sein, eben mit den üblichen Abstrichen (ihh, Menschen! Interaktion! Jemand redet! Jemand sieht mich!).

Das einzige Ziel, das ich wirklich haben möchte: ich möchte in einem Niederländisch-Chat mitreden können. Das ist schon sehr ambitioniert, weil ich zu dem Zeitpunkt erst vier Monate Niederländisch lernen werde, aber das schaffe ich. Ik weet dat!

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