Ich habe mich in den letzten paar Wochen mal ein wenig damit auseinandergesetzt, wie andere Leute, die mehrere Sprachen lernen und sprechen, ihre Zeit und ihre Arbeit strukturieren. Für mich fühlt es sich oft gar nicht so besonders effektiv an, wie ich lerne, auch wenn ich offensichtlich vom Fleck komme und es eine Entwicklung gibt. Das größte Problem ist, daß meine Zeiteinteilung nicht mit der meiner Familie übereinstimmt. Es ist immer sehr unvorhersehbar, wann ich während des Tages in Ruhe lernen kann, und oftmals fühle ich mich abends, wenn alle in ihren Zimmern verschwunden sind und Ruhe einkehrt, einfach zu müde, um stundenlang effektiv zu lernen. Ich weiß, daß ich kein großes Interesse an sozialer Interaktion habe, aber ich finde, ich muß meiner Familie schon die Gelegenheit bieten, sich an mich zu wenden. Ich weiß nur nie so wirklich, wieviel ok ist und wann das dann stattfinden sollte. Bei der Asperger-Diagnostik wurde ich gefragt, wie viele Stunden am Tag ich idealerweise gern für mich allein hätte, und ich sagte 20, weil ich nicht unhöflich klingen wollte (22 wäre meine ehrliche Antwort gewesen) – das ist wohl ziemlich vielsagend. Besonders schwierig finde ich es, wenn ich nicht nur einmal eine bestimmte Zeit gewähren muß, sondern immer wieder unterbrochen werde, so daß sich meine Lernzeit in winzigste Einheiten aufsplittert (mal ein Beispiel: ich würde gern 10 Duolingo-Durchgänge à 20 Fragen am Stück erledigen, als eine Lerneinheit, aber de facto komme ich teilweise nicht mal durch einen einzigen Satz, geschweige denn durch eine Einheit von 20 Fragen und oft brauche ich auch Ohrstöpsel, weil nebenher gelärmt wird. Und ja, ein Küchenmixer oder ein Staubsauger lenken mich vom Lernen ab, ebenso wie Gesinge, Katzenklogescharre, Türgeknarze oder meine innig gehaßten Nachbarschaftsgeräusche wie Sägen und Hundekläffen).
Die zeitliche Struktur ist also ein Problem. Ein anderes ist, daß sich meine Lernerei nie wirklich strukturiert anfühlt. Ich meine damit, daß ich keinen echten Plan habe, was ich an welcher Stelle lernen sollte, damit ich Erfolg habe. Und ich tracke auch nur sehr ungenau, was ich lerne, z.B. mache ich mir Strichlisten mit den Lektionen von Duo oder Babbel, die ich gemacht habe, aber ich halte nicht fest, was diese beinhaltet haben. Manche Aktivitäten wie Lesen oder Zuhören kommen bei mir allgemein nur sehr sporadisch vor, weil ich sie als nicht besonders effektiv erlebe, und wenn ich mich dann mit anderen vergleiche, die ständig ein Buch in ihrer Zielsprache vor Augen haben oder jede Menge Podcasts anhören, zweifle ich an meiner Methode. Ganz schlimm wird es dann, wenn ich mitbekomme, wie andere Leute ihre Notizbücher zum Sprachenlernen führen. So mit Übersichten und Tracking von irgendwelchem Zeug, mit Bildchen und Aufklebern und bunten Stiften und Sternen und so. Das mache ich nämlich nicht. Ich habe ein Notizbuch für jede Sprache, die ich lerne. Es ist immer von derselben Marke, immer dasselbe Format und nur die Farbe ist anders. Ich schreibe diese Bücher einfach mit meinen Notizen voll und es gibt nur selten Unterstreichungen oder Kringel, mal ganz zu schweigen von Aufklebern, Kalligraphien oder anderen Dingelebummele. Meine Notizen sind eine dröge Sache und das Einzige, das ein wenig heraussticht, sind Haftnotizzettel in Schafform, die ich mal fälschlich zugeschickt bekommen hatte und behalten durfte und die jetzt jede Woche die Seite markieren, wo ich meine Strichlisten führe, damit sie verbraucht werden. In sich haben die Bücher nur eine Struktur, nämlich eine zeitliche. Ich schreibe jeden Tag das Datum rein und darunter folgen dann die Sätze, die mir notierenswert erscheinen, z.B. in Gesprächen oder von Duolingo oder Babbel. Wenn ich dann sehe, wie viel Mühe andere in ihre Notizen stecke, frage ich mich unwillkürlich, ob ich irgendwas falsch mache/ob ich mir mehr Mühe geben sollte/ob die mehr Spaß haben als ich/… und ob mir Struktur fehlt/ich keine andere Struktur brauche als die, die ich habe/ob ich mit deren Struktur effektiver lernen würde. Selbstzweifel.
Selbstzweifel sind beim Lernen richtige Stolpersteine. Das Blöde ist, daß es nicht weniger werden, je länger diese Lernreise andauert. Es werden eher mehr. Einen Grund dafür sehe ich darin, daß Sprachenlernen gerade total hip ist und daß man an vielen Stellen mit Sprachlerncontent und -werbung beballert wird. Ich fühle mich oft wie ein totaler Trottel in der erlesenen Gemeinschaft derer, die 12 Sprachen fließend sprechen (oder zumindest die Grundfarben nennen und bis 10 zählen können). Selbstzweifel sind eine Sache, mit der sich viele Hochbegabte herumschlagen und zumindest dieses Wissen hilft mir ein wenig, meine Zweifeleien etwas zu relativieren. Die Energie, die man braucht, um über dieses Gefühl von Unsicherheit zu klettern, geht allerdings für’s Lernen selbst flöten, und ich frage mich, ob mehr Struktur diesen Zweifel gleich lahmlegen könnte. Also, weil man durch mehr Struktur schon gelernt hat, daß der Zweifel kommt, und man sich einfach über ihn hinwegsetzt.
Eine Sache, die noch mehr Struktur für mich sehr unattraktiv macht, ist die Langeweile. Langeweile kommt in meinem Kopf sehr schnell auf, z.B. wenn das Lernangebot zu kleinschrittig oder monoton ist, wenn in einer Klasse über ein Thema geredet werden soll, das ich öde finde, wenn mein Gegenüber eine einschläfernde Stimme hat oder wenn eine Geschichte/ein Film eine Story erzählt, die mich nicht interessiert. Sobald ich Langeweile empfinde, fühlt sich mein Gehirn wie von Watte verstopft an, und nichts geht mehr. Würde ich mir meine Lernzeit z.B. in Einheiten von 20 Minuten aufteilen, würde ich definitiv dabei eingehen, wenn ich versuchen „müßte“, 20 Minuten lang Vokabeln zu wiederholen oder einen Podcast anzuhören oder so. Lernen muß für mich bunt und vielfältig sein und ich muß Sprachenlernen und irgendwas anderes tun miteinander kombinieren können.
Ein weiterer Stolperstein ist die (natürlich nicht wirklich existente) „Beweispflicht“. Wenn man eine Sprache lernt, dann soll man auch beweisen, daß man sie spricht [diese Plattitüde gönne ich mir jetzt mal]. Ich fühle mich natürlich geschmeichelt, wenn mir Leute sagen, daß ich eine Sprache toll beherrsche, aber ich weiß auch immer, daß mein Schriftniveau immer viel höher liegt als mein aktives Sprachniveau und daß in meinem Kopf immer ein ziemlicher White Out herrscht, sobald ich ein menschliches Gegenüber habe. Mein Spanisch in meinem VHS-Kurs z.B. ist richtig grottig. Worte und Formen purzeln durcheinander, ich verhaspele mich mitten im Satz und vergesse vor lauter Aufregung, was ich sagen wollte. Gruppensituationen sind einfach ganz mies und auch wenn ich mich ihnen bewußt zur Abhärtung aussetze, werden sie nicht geiler. Mein Niveau fällt schlagartig von C1 auf B1. Wenn ich einen Text schreibe oder einen Film gucke, ist mein Spanisch brilliant und wirklich elegant. Nur daß es dann halt keiner mitkriegt. Leider bezweifle ich, daß irgendeine Struktur etwas an diesem White Out verändern könnte, denn es ist der Aufregung geschuldet, die im Kontakt mit Menschen entsteht.
Fazit? Vermutlich habe ich die ganze Struktur, die ich brauche, schon etabliert. Aber irgendwie macht mein Gehirn mir weis, beklebte Notizbücher mit Dingelebummele drin wären toller als das, was ich mache, und alle anderen können alles viel besser als ich. Und sowieso.