Lernen

Ich habe in den vergangenen Monaten viel darüber gelesen und mir angehört, wie andere Menschen Sprachen lernen. Ich finde das immer sehr spannend, mitzuverfolgen, wie der Prozeß der Sprachakquirierung bei anderen abläuft und welche Methoden ihnen in welcher Zeit welchen Erfolg bringen. Beim Lernen habe ich zwar nicht das Gefühl, mit anderen in Konkurrenz zu stehen, weil ja jede Lernreise ganz individuell ist, aber der Blick über den Tellerrand ist trotzdem immer lohnend. Allerdings glaube ich durchaus daran, daß man alten Hunde keine neuen Tricks mehr beibringen kann. Oder anders gesagt: Sprachenlernen ist gerade trendy und natürlich wollen eine Menge Leute damit Geld verdienen, was sie unter anderem tun, indem sie neue Lernmethoden erfinden oder zumindest so tun, aber ich habe für mich persönlich festgestellt, daß ich mit sämtlichen hippen Apps und High-End-Lösungen nicht so gut lerne wie mit der Art von Materialien, die ich schon immer benutzt habe. So ein Gehirn ist ja doch ganz schön faul und meines ist überdies ziemlich schnell überreizt von Oberflächen, die es nicht kennt. Dazu kommt, daß ich Versprechungen wie „fließend XY sprechen in nur drei Wochen!“ nicht glaube und auch nicht nachvollziehen kann, warum Leute zwar eine (oder am besten gleich mehrere) Sprache/n sprechen können wollen, aber selten Lust haben, entsprechend viel Zeit und Energie in den Lernprozeß hineinzustecken. Denn das ist für mich der eigentliche Spaß an der Sache. Ich liebe es, zu lernen.

Jedenfalls lese ich gerade „Fluent Forever“ von Gabriel Wyner, und in den ersten Kapiteln kommt er darauf zu sprechen, wie Erinnerung funktioniert. Forschungen zufolge vergißt man innerhalb der ersten 24 Stunden, nachdem man etwas gelernt hat,  wieder 70% davon. Je länger das Lernen her ist, desto weniger erinnert man sich. Besser bleibt Gelerntes haften, wenn man es a) aktiv und b) regelmäßig wiederholt. Auf Vokabeln zu gucken, um sie zu wiederholen, ist also nicht so effektiv wie z.B. sie aus dem Gedächtnis aufzuschreiben, und sie bleiben noch besser haften, wenn man jede einzelne Vokabel mit immer größer werdendem Abstand bis zu siebenmal wiederholt, denn dieser Zeitraum ist nötig, um sie ins Langzeitgedächtnis zu überführen. Wyner schlägt statt der schnöden Variante der Vokabelkarten, die nur mit Worten beschrieben wird, eine aufgemotzte Version davon vor, nämlich Vokabelkarten, die statt mit Worten mit Bildern oder ganzen Sätzen arbeiten, weil das seiner Ansicht nach die Memorisierung erleichtert. Je persönlicher die Karten gestaltet werden, desto nachhaltiger der Lerneffekt. Während ich seinen Argumenten absolut folgen und mir auch vorstellen kann, daß das für viele Leute sehr gut funktioniert, lehnt mein Gehirn das ab. Ich habe schon viele unterschiedliche Methoden ausprobiert, um Vokabeln zu lernen, aber da ich daran gewöhnt bin, es mit der schnöden Variante der Karten zu machen, finde ich alles andere verwirrend und unangenehm und kehre daher immer wieder zum Gewohnten zurück (der Aspie läßt grüßen).

Was die Aussprache angeht, so schlägt der Autor vor, man solle sich anfangs nicht auf Vokabeln und Inhalt konzentrieren, sondern auf den Klang. Es gelte, das auf einen bestimmten Sound geeichte Gehirn durch Exposition in der Zielsprache neu zu verdrahten. Auch das Argument verstehe ich total gut, aber auch das funktioniert bei mir nicht. Ohne Inhalt perlt der Klang erstmal ab. Er interessiert mich nicht, weil es diffus bleibt. Erst wenn ich anfangen kann, einzelne Worte rauszuhören, ist mein Interesse geweckt. Das ist wie eine sehr befriedigende Detektivarbeit für mich.

Dann ist mir noch bewußt geworden, daß ich ein Mono-Lerner bin. Ich schaffe es nicht, mehrere Sprachen zeitgleich von der Pieke auf zu lernen, weil das dazu führt, daß ich in keiner der Sprachen so richtig abtauchen kann. Das geht nur, wenn ich mich auf eine Sprache fokussiere. Und dann brauche ich rund zwei Jahre, um ungefähr ein Niveau zwischen B2 und C1 zu erreichen (ich selbst empfinde das so, daß ich nur in Englisch Niveau C2 habe – bei allen anderen Sprachen würde ich das nie von mir behaupten).

Ich habe bisher bestimmte Denkfehler gemacht, wenn Leute sagten, sie sprächen zwölf Sprachen fließend und hätten dafür nicht mehr als ein paar Jahre gebraucht. Erster Fehler: fließend ist nicht gleich fließend. Für manche bedeutet dieser Terminus, daß sie in der Lage sind, sich in der Zielsprache einen Tee zu bestellen und dem Kellner zu danken oder nach dem nächstgelegenen Bankautomaten zu fragen. Das mag zwar als fließend gelten, aber eben auf Niveaustufe A1-2. Ich verstehe unter fließend allerdings C1-2 mit einem sehr geringen Fehlerquotienten, auch bei komplizierten Grammatikthemen (als Beispiel nenne ich mal den Subjuntivo im Spanischen). Zweiter Fehler: fließend heißt für mich, daß ich auch die Aussprache gut hinbekomme. Es gibt jedoch viele Leute, die schon lange eine Sprache lernen, deren Aussprache aber so grottig ist, daß man sich als Muttersprachler sehr viel Mühe geben muß, sie zu verstehen. Welchen Sinn macht es, schwerverständliches Gestöpsel als fließend zu bezeichnen? Dritter Fehler: das klassische „die anderen lernen viel müheloser als ich!“-Denken. In der Regel bin ich zwar geneigt, das zu glauben, aber meist ist das nicht wahr. Jeder hat seine Stärken und Schwächen und je besser man die kennt, desto besser kann man den Lernprozeß ihnen anpassen. Ich z.B. tat mich immer schwer damit, vor allem am Anfang zu akzeptieren, bestimmte Phänomene noch nicht zu durchschauen und war total ungeduldig. Erst bei Norwegisch lerne ich allmählich, diese Ungeduld auszuhalten, und das geht auch nur, weil ich inzwischen in den Prozeß vertraue.

Für mich ist das nämlich so: ich merke nicht zwangsweise von Tag zu Tag, daß ich wirklich einen Fortschritt erziele, aber durchaus von Monat zu Monat. Zu wissen, daß mein Gehirn auch dann weiterarbeitet, wenn ich nicht gerade explizit lerne, hilft mir dabei, loszulassen und die Reise mehr zu genießen 🙂

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