In den letzten Wochen habe ich einige Videos von anderen Menschen geguckt, die ebenfalls Sprachen lernen, und die ihre Lernroutinen vorgestellt haben. Dabei ist mir bewußt geworden, daß ich keinen besonders strikten Stundenplan habe, der festlegt, wie viele Stunden ich an welchen Tagen für welche Sprache lerne.
An Tagen, an denen ich abends Spanischtandems habe, lerne ich entweder gar kein oder nur sehr wenig Norwegisch, weil ich festgestellt habe, daß es mir dann schwerfällt, wieder auf Spanisch zu denken. Derzeit sind das zwei Tage die Woche, an denen ich erst spät am Abend zu lernen beginnen, wenn die Austauschgespräche vorbei sind und ich den Kopf wieder frei habe.
An den anderen Tagen fange ich in der Regel schon nachmittags (ich stehe sehr spät auf) mit dem Lernen an, allerdings hängt das davon ab, was meine Familie macht. Es gibt Tage, wo niemand was von mir will oder braucht, und an denen kann ich entsprechend mehr lernen, als an Tagen, wo alle mit mir reden möchten oder wo z.B. Hausarbeit ansteht. An ruhigen Tagen mache ich nachmittags einige Duolingo-Lektionen, allerdings sind das mittlerweile nur noch wenige, vielleicht so drei bis fünf. Da ich jetzt schon mehr verstehen und selbst ausdrücken kann, empfinde ich die Duo-Lektionen als etwas langweilig – aber das ist ja ein gutes Zeichen. Auch Vokabeln kann ich nachmittags oder am frühen Abend gut wiederholen.
Neuen Inhalten widme ich mich erst, wenn ich weiß, daß ich ungestört sein werde und meinen Fokus nicht mehr vom Lerninhalt zu irgendwelchen anderen Dingen und wieder zurück verschieben muß. Abends lerne ich also den Hauptteil. Woraus dieser besteht, verändert sich je nachdem, wie gut ich eine Sprache bereits beherrsche. Wenn ich z.B. Englisch auffrischen will, reicht es, wenn ich mir einen Film angucke oder etwas lese. Ähnlich ist es für Spanisch, wobei ich es hier vorziehe, selbst Texte zu schreiben. Allgemein ist es so, daß ich umso mehr lerne, je aktiver ich bin. Selbst etwas zu schreiben oder mit jemandem zu sprechen, bringt mir viel mehr als beispielsweise ein Buch zu lesen. Beim Norwegischlernen bin ich gerade noch an einem Punkt, wo es mir wirklich etwas bringt, Bücher zu benutzen, um Grammatikregeln zu lernen oder Aufgaben auszufüllen, merke aber, daß sich mein Interesse jetzt auch hier allmählich Richtung Texteschreiben verschiebt.
Ich bin zwar durchaus in der Lage, mich auch stundenlang konzentriert einer einzigen Sache zu widmen, aber wenn diese mich nicht wirklich fesselt, langweile ich mich schnell. Das hängt mit der Kombination von Autismus und Hochbegabung zusammen. Ich bin z.B. auch nur sehr selten in der Lage, einen Film anzusehen, ohne nebenher noch etwas anderes zu machen. Je mehr ich mich dazu zwingen müßte, bei einer Sache zu bleiben, desto mehr Energie würde genau für diesen Zwang verbraucht werden, und diese Energie würde dann beim Lernen fehlen. Das wäre also total ineffektiv. Da ich weiß, daß mein Gehirn so funktioniert, spalte ich den Hauptlernteil am Abend in kleine, unterhaltsame Einheiten auf. Ich gebe mal ein Beispiel dafür, wie ich eine Zeitstunde nutze:
- 10 min. Duolingo
- 5 min. irgendwas anderes, Pause
- 5 min. Vokabeln
- 5 min. irgendwas anderes, Pause
- 10 min. lesen
- 15 min. irgendwas anderes, Pause
- 10 min. Text schreiben
Ich glaube, realistisch betrachtet splittere ich die meisten Zeitstunden in noch kleinere Einheiten auf, die zum Teil vielleicht zwei oder drei Minuten dauern. Manchmal dauert eine Pause nur wenige Sekunden, gefolgt von einer ebenfalls nur wenige Sekunden dauernden Lerneinheit. Wenn ich einmal „in the zone“ bin, prozessiere ich Informationen sehr schnell. Die raschen Wechsel zwischen Pausen und Lernen haben manchmal aber auch eine negative Auswirkung auf mich. Je schneller ich denke und je mehr das Gehirn arbeitet, desto höheren Blutdruck bekomme ich. Das ist dann so eine Art Lernrausch. Im Lernrausch nehme ich meine grundlegenden Bedürfnisse wie trinken oder auf die Toilette gehen nicht mehr gut oder auch gar nicht mehr wahr, was den Blutdruck noch steigert. Ich versuche also, die Lerneinheiten so zu gestalten, daß ich nicht überdrehe, und in den Pausen wirklich abzuschalten.
Wenn ich einmal das Lernen gestartet habe, reagiere ich auf Unterbrechungen sehr unwirsch, was schon öfter zu Konflikten mit meiner Familie geführt hat. Auch deswegen ist es wichtig, daß ich jeden Tag bestimmte Zeiten habe, wo ich ungestört bin. Es ist ja bekannt, daß wir Aspies ziemlich ungehalten darauf reagieren, wenn wir unseren Spezialinteressen nicht nachkommen können, und ich bin da keine Ausnahme. Das Sprachenlernen ist für mich Entspannung und Abtauchen. Ich glaube, letztlich würde jeder genervt darauf reagieren, wenn man ihn beim Abschalten stört, aber ich glaube auch, daß Aspies drauf einen Zacken schärfer reagieren als andere.
Wenn ich gerade anfange, eine Sprache zu lernen, sieht meine Lernroutine anders aus. Da verbringe ich möglichst viel Zeit mit einer Sprache, schaue also z.B. nebenher Videos in der Zielsprache, lasse Musik in der Sprache laufen etc. Das mache ich zu späteren Zeitpunkten nicht mehr. Die erhöhte Exposition der Zielsprache gegenüber hilft mir vor allem am Anfang dabei, ihr Klangbild zu verinnerlichen, was es später leichter macht, Sachen richtig auszusprechen.
Zu der Langeweile wollte ich noch etwas anfügen. Sie ist der Grund dafür, warum ich auch Schule und Uni als wahnsinnig quälend empfunden habe, denn wenn man ehrlich ist, läßt sich die Essenz einer Schulstunde meist auf zwei, drei Sätze reduzieren. So etwas wie ein zweistündiger Elternabend ist für mich ebenfalls die reinste Quälerei, weil auch hier die Essenz in ein paar Sätzen steckt (und ich verstehe nicht, warum die Lehrer den Eltern diese paar Infos nicht gleich per E-Mail schicken). Wenn man bereits am Beginn einer Stunde weiß, worum es geht, und dann nur noch auf den erlösenden Gong wartet, ist das einfach ermüdend und frustrierend, denn es geht dabei sehr viel Lebenszeit drauf, die man anderweitig besser hätte nutzen können. Mir ist aber auch klar, daß ein Großteil von Schule, Uni, Elternabenden und anderen solchen Dingen nichts mit Inhalten, sondern mit sozialer Interaktion zu tun hat – und die interessiert mich nicht besonders, schon gar nicht mit Menschen, mit denen ich nicht freiwillig zusammen bin. Mit Freunden und der Familie ist das was anderes.
Etwas, das mich lange verunsichert hat, ist, daß ich meinen Lernprozeß mit dem anderer Menschen verglichen habe. Ich glaube, das ist im Grunde das Blödeste, was man machen kann, weil jede Lernreise absolut individuell ist – so wie jedes Gehirn eben auch. Aber wenn ich sehe oder lese, daß andere Leute jeden Tag am Streifen weg vier Stunden eine Sprache lernen, denn vermute ich augenblicklich, daß das bedeutet, daß sie schneller/besser/effektiver/konzentrierter lernen als ich und daher ihre Zielsprache auch schneller/besser/fundierter/… begreifen und beherrschen. Das stimmt aber gar nicht. Es sagt nur etwas über mich selbst aus, nämlich daß ich Sorge habe, ich würde nicht genug lernen oder nicht schnell genug Dinge verstehen. Das ist irgendwie das Vertrackte: ich lerne ja schon ein paar Jahre lang Fremdsprachen, aber immer wieder stelle ich in Frage, ob ich mir, meinem Gehirn und dem Lernprozeß trauen kann. Perfektionistenfehler. Das weiß ich auch und ich versuche, im Laufe der Zeit immer mehr Gelassenheit und Vertrauen zu entwickeln und im Gegenzug Konkurrenzdenken und Sorgen abklingen zu lassen. Eigentlich geht es ja „nur“ darum, den Prozeß zu genießen. Niemand käme auf die Idee, einen richtig guten Tee herunterzustürzen. Man genießt ihn und kostet ihn voll aus. So stelle ich mir auch das Lernen von Fremdsprachen vor. Es ist ein Prozeß, den man zwar immer wieder in Frage stellt und der auch seine Tiefpunkte mit sich bringt, aber eigentlich geht es nur darum, es zu genießen.