Die Nacht in Castrojeriz war aufgrund der Nachtvögel und der schnarchenden Fußpilger nicht so erholsam wie andere Nächte, so daß ich ein wenig verspannt und müde in den Tag startete. Wenn man den Camino zu Fuß geht, muß man kurz vor Castrojeriz unter den Bögen der Klosterruine San Anton hindurch. Da wir nun aus der entgegengesetzten Richtung kamen, mußten wir erstmal dorthin fahren, um Bilder zu machen.
Nach Frómista sind wir dann quer durch die Meseta über endlos geradeaus führende Straßen gefahren – bei Dauerregen und Gewitter. Vom Elsaß hier in unserer Nähe sind wir ja schon lange gerade Strecken gewohnt, aber das war nochmal ganz anders. In Frómista hat mein Mann die Kirche San Martin mit ihren 300 Fabelfiguren photographiert, während ich Brot und Obst eingekauft habe. An diesem Tag merkte ich, daß mein Spanisch sich schlagartig verbessert hatte. Ich bin natürlich noch weit von fließend entfernt, aber ich wurde einfacher verstanden und verstand auch mehr von den Antworten.
Nachdem wir im Auto gefrühstückt hatten, fuhren wir über diverse kleine Orte bis nach Carrión de los Condes. Hier hätte ich per se gern im Parador von San Zoilo übernachtet, aber das Hotel war neun Monate im Voraus ausgebucht. Die Türen zum Kloster waren noch geschlossen, also blieben wir zehn Minuten im Auto sitzen, bis sie sich öffneten. Nachdem wir den Rollstuhl und mich über die Schwellen bugsiert hatten, standen wir allerdings wieder vor verschlossenen Türen. Es gab lediglich eine Klingel, die man benutzen sollte, um einen Sello, also einen Stempel in den Pilgerpaß zu bekommen. Ich schellte probehalber und eine nette Señora öffnete uns. Ich fragte, ob das Kloster geschlossen sei, doch sie sagte, es sei geöffnet, und sperrte die Flügeltür auf, so daß ich direkt mit dem Rolli durchfahren konnte.
Der Eintritt kostete 2 € und dafür konnte man die Kirche und den herrlichen sowie absolut nicht barrierefreien Kreuzgang besichtigen. Dieser war so uneben, daß ich nur einen kurzen Blick hineinwarf, weil ich Angst hatte, auf der Buckelpiste umzuschlagen.
Im Anschluß fuhren wir weiter nach León. Das Wetter hatte sich inzwischen aufgeklart und die Sonne brutzelte vom wolkenlosen Himmel. Die Altstadt wird überragt von der herrlichen Kathedrale, doch leider waren wir gerade zur Siesta dort angekommen, wo das Gotteshaus geputzt und gesaugt wird. Also keine Besichtigung. Stattdessen bummelten wir ein bißchen durch die Altstadt und setzten und später im bekannten Barrio Húmedo in eine kleine Tapasbar.
Das war das erste und einzige Mal, daß ich auf der gesamten Reise einen richtigen Gemüseteller vor mir hatte, und ich hätte nicht glücklicher sein können 🙂 Überhaupt ist das etwas, das ich mir für künftige Spanienurlaube merken werde: iß Gemüse, wann immer Du kannst 🙂 Die Bedienung war sehr zuvorkommend und wir unterhielten uns nett auf Spanisch und Englisch. Wieder einmal zeigte sich, wie schwer es die Spanier haben, die eben nicht wie wir in Deutschland Englisch in der Schule lernen, sondern sich privat um Fremdsprachen kümmern müssen. Mir fiel allgemein in Spanien auf, daß es in jeder größeren Ortschaft wenigstens eine Sprachschule gibt.
Unser nächste Station war Astorga, wo wir die Kathedrale und den von Gaudí erbauten Bischofspalast von außen bewunderten.
Am Nachmittag kamen wir am Cruz de Ferro an, dem höchsten Punkt auf dem Camino Francés, wo traditionell jeder Pilger einen von daheim mitgebrachten Stein abwirft. Ich hatte keinen Stein dabei, weil ich das Gefühl hatte, daß das, was mich tatsächlich beschwert, eher der Rollstuhl sei. Dort oben, inmitten von Heidekraut und verkrüppelten Eichen, fühlte ich mich plötzlich wieder verloren und genervt von der Behinderung. Die Traurigkeit, die ich in St. Jean verspürt hatte, war schlagartig zurück.
Der Weg bis Ponferrada zog sich ein wenig, zumal es in Serpentinen bergab ging. Zum ersten Mal sahen wir hier streunende Hunde. Ihr Anblick hat mich nachdenklich gemacht. Ich hatte recht klare Vorstellungen davon, in welchem Elend diese Streuner leben würden und daß sie wohl auch eher aggressiv wären, doch beides hat sich, übrigens auf der gesamten restlichen Reise durch Spanien, nicht bewahrheitet. Die Streuner, denen wir begegnet sind, sahen alle wohlgenährt und fit aus, waren überaus autofest und sehr freundlich. Nichtsdestotrotz wäre es natürlich wünschenswert, daß die spanische Regierung Kastrations- und Gesundheitsprogramme für diese Tiere starten würde. Derzeit läuft das wohl ausschließlich über private Organisationen.
In Ponferrada checkten wir erstmal ein. Diesmal hatten wir ein vier-Sterne-Hotel gebucht und entsprechend schön waren die Zimmer und die Bäder. Nach zwei Nächten an nicht so heimeligen Orten war das Balsam für die Seele. Wir machten uns kurz frisch, dann ging es direkt weiter. Unser Ziel waren Las Medulas, eine Landschaft etwas südlich von Ponferrada. Die Römer haben hier Gold abgebaut und dabei die Hügel entwaldet und zum Teil abgetragen. Davon zeugen bis heute die Medulas. Um zu ihnen zu gelangen, muß man übrigens einen sehr steilen Weg hinauf, was mit dem Rollstuhl schon eine echte Herausforderung war. Ist man erstmal oben angelangt, ist der große Mirador barrierefrei befahrbar und bietet die schönste Aussicht, die man sich wünschen kann.
Als wir später am Abend wieder in Ponferrada waren, mußten wir feststellen, daß es dort praktisch keine Tapas-Bars gibt. Oder vielleicht nur sehr gut versteckt. Jedenfalls kehrten wir bei einem Asiaten ein, der ein riesiges Buffet aufgebaut hatte. Die meisten Dinge waren leider kalt, so daß wir uns Gemüse und Fleisch zusammenstellten und das vom Koch für uns zubereiten ließen.