Sprachlernpläne für 2021

In meiner Sprachlern-Blase planen gerade viele Menschen, was sie 2021 lernen wollen, stecken ihre Ziele ab, sichten Ressourcen, kaufen Kurse und Bücher und scharren mit den Hufen. Dieses Jahr teile ich diese Vorfreude auf das neue Lernjahr nicht. Mich hat ein Burnout erwischt, der zweite in meinem Leben, den ich klar als solchen erkennen und benennen kann. 2020 war kein gutes Jahr für mich, und das hat nun wirklich gar nichts mit Corona zu tun. Tatsächlich empfand ich es oft so, daß die Corona-bedingten Veränderungen mir als Aspie entgegenkommen, wie etwa die Kontaktbeschränkungen, die Vermummung der Gesichter (die ich sowieso nicht erkenne und die mich mit ihrer Mimik meistens einfach nur verwirren), das Abstandhalten und auch das große Online-Angebot, das entstanden ist (Kurse, Veranstaltungen, …). Schon im Herbst 2019 habe ich von heute auf morgen meine Gehfähigkeit eingebüßt und 2020 habe ich komplett im Rollstuhl verbracht, oft unter unmenschlichen Schmerzen. Ohne meine Sprachen wäre ich in diesem Jahr durchgeknallt.

Etwa im Juni war ich nach nur 15 Monaten Norwegisch an einem Punkt angekommen, wo es mich nicht mehr genug forderte. Da fing ich an, auch Schwedisch zu lernen, was ich immer noch fast täglich mache. Im August befaßte ich mich mit Isländisch und kann es nun recht gut verstehen. Im September und Oktober – in der zweiten strikten Bettruhe in diesem Jahr – habe ich mir beigebracht, wie man Arabisch liest und schreibt. Im Dezember dann habe ich mir Russisch und Schottisch-Gälisch angesehen. Ganz schön viel für ein Jahr, vielleicht zuviel, und ich vermute, das alles hat zum Burnout beigetragen, denn egal, wie sehr man Sprachen liebt, es kann auch zuviel sein. Insbesondere dann, wenn man andere existenzielle Sorgen hat.

Im Moment kann ich nicht viel lernen, weil sich mein Kopf anfühlt, als wäre er schon voll. Eigentlich übervoll, denn ich habe viele Tage, an denen ich fast keinen Zugriff auf Spanisch habe. Es ist wie eine Tür, die nicht aufgeht, und das ist superfrustrierend. Ich versuche, diese Blockade ganz sanft zu überwinden, indem ich jeden Tag einen Skill des Duolingokurses Spanisch-Englisch vergolde. Das ist nicht viel und auch nicht fordernd, aber es zeigt mir, daß es nicht wirklich weg ist. Das ist wichtig.

Pläne schmieden kann ich in diesem Zustand nicht. Ich schleppe mich von Tag zu Tag und erlaube mir, uninspiriert und ziellos zu sein – aber diese Zustände muß man auch erstmal aushalten. Das fällt mir schwer. Ich habe eigentlich nie konkrete Lernpläne für bestimmte Zeiträume, weil ich auf den Prozeß vertraue, aber so herumzuschwimmen, ist schon sehr seltsam. Dazu kommt, daß mich Fiktion meist rasend schnell langweilt und ich daher in keinem fiktionalen Universum versinken kann wie im Sprachlernuniversum. Fiktion fasziniert mich nicht. Ich empfinde sie oft nur als Zeitkiller und habe keine Geduld für Serien, deren Handlung man in fünf Sätzen zusammenfassen kann, während ich acht oder zehn Stunden meiner Lebenszeit opfere. Aber womit füllt man sonst die Lücke, die das intensive Lernen in jedem Tag hinterläßt, wenn man damit pausiert?

Ich wollte eigentlich noch im Dezember eine Entscheidung treffen, welcher Sprache ich mich als nächstes ernsthaft zuwende, wobei „ernsthaft“ für mich bedeutet, daß ich sie bis auf Niveau C1 lernen würde. Ich kann das gerade nicht. Ich sehe zur Zeit keinen Weg vor mir, bin nur erschöpft und eben ausgebrannt. Anders als bei meinem ersten Burnout habe ich mir jetzt direkt Hilfe gesucht und auch hier kommt mir Corona entgegen: ich kann im Januar eine weitere Therapie bei derselben Therapeutin beginnen, die mich schon ein paar Jahre begleitet hat, und für ihr bereits bekannte Patienten kann sie das Ganze online anbieten (was vor Corona ein Ding der Unmöglichkeit gewesen ist). Das ist absolut genial und ich freue mich sehr darüber. Vielleicht löst das ja auch diese Lernblockade.

Von Plänen für das neue Jahr zu sprechen, ist also gerade nicht möglich. Mein Wunsch wäre, mir Norwegisch und Spanisch auf dem C1-Niveau zu erhalten. Das bedeutet, ich werde weiterhin Lehrerstunden buchen; Sprachaustäusche mache ich eigentlich nicht mehr, weil ich gemerkt habe, daß es sich für mich entspannter anfühlt, jemanden dafür zu bezahlen, weil das bedeutet, daß ich da kein schlechtes Gewissen haben muß, wenn ich mich auf meine Schwerpunkte und Interessen konzentrieren kann. Dazu werde ich regelmäßig Vokabeln wiederholen, Texte lesen und schreiben und bei Duolingo weitermachen. Ein Wunsch wäre auch, eine neue Sprache zu finden, die mich so packt, daß ich sie bis C1 lernen will. Ich denke, der richtige Weg dahin wird sein, dem Burnout seinen Platz einzuräumen, die Therapie zu beginnen und soviel in unterschiedliche Sprachen reinzugucken, wie es mir Freude macht, bis etwas wirklich zündet.

Eine Frage, die für mich in diesem Jahr aufkam, war, wieviel Sinn es für mich macht, Sprachen zu lernen, wenn ich kaum reisen kann (das hat wieder nix mit Corona, sondern mit meiner Körperbehinderung zu tun). Ich habe mir die Behinderung mit Mitte 20 zugezogen, also in einer Zeit, wo andere Leute sich ausprobieren, reisen, im Ausland leben. Das wurde mir einfach genommen, gestohlen. Kann ich das in meinem späteren Leben nachholen? Will ich im Ausland leben, macht das Sinn für mich?  Wäre das mit Behinderung und allem, was damit verbunden ist, machbar? Und wo überhaupt? Eigentlich lerne ich vor allem Sprachen, weil ich ihre Systematik und ihre Ästhetik liebe, aber ich hätte schon gern die Option, sie auch mal im Ausland anzuwenden, nicht nur bei einem Lehrer vorm heimischen PC. Das, was ich aufgrund meiner Körperbehinderung nicht kann und nicht habe, brennt in diesem Jahr in mir, und es tut wirklich weh. Im Grunde bin ich in diese Lage geraten, weil ein Schuhmacher zu dämlich war, seinen Job zu machen – mehr als sechs Jahre lang. Die Abhängigkeit von Zeug und die Abhängigkeit von anderen nervt mich massiv. Ich sehe mich selbst eher als Mensch, der mit einer handvoll Dingen auskommt und aus dem Rucksack leben könnte, immer auf Wanderschaft. Ich bin neugierig auf andere Kulturen, andere Sprachen, andere Gegenden. Daß mein eigener Körper, daß Zeug mich so derart blockiert und von allem abhält, was ich will, ist einfach zum Kotzen. Manchmal macht mich Sprachenlernen also auch traurig, vor allem wenn mir andere erzählen, daß sie ins Ausland gehen werden und dafür eine Sprache lernen.

Hatte 2020 etwas Gutes für mich? Ja, durchaus. Ich habe Norwegisch bis auf ein hohes Niveau lernen können und zwei richtig tolle Lehrer gefunden, einen für Norwegisch, einen für Spanisch. Ich habe mehr Zutrauen in meine Fähigkeiten bekommen, und auch in den Prozeß. Ich habe gelernt, mehr bei mir selbst zu bleiben und nicht zu verschwimmen, weder im Angesicht all der Möglichkeiten, Quellen und Programme, die es gibt, noch wenn andere von ihrem Lernprozeß erzählen. Dafür bin ich wirklich dankbar, aber alles in allem kann 2020 mich mal am Arsch. Nicht wegen Corona.

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung