Mein Camino #1

Ich habe lange überlegt, ob ich über meinen Urlaub bloggen soll, denn ich glaube, wenn ich die Dinge in all ihrer Tiefe erzählen würde, wäre mir das zu persönlich. Insofern ist dieser Beitrag ein Kompromiß zwischen ein paar schönen Photos, einer eher nüchternen Schilderung und dem Versuch, Grenzen beizubehalten.

Ich habe in diesem Jahr den ersten 14tägigen Urlaub seit 1991 gehabt. In den ganzen Jahren dazwischen hat es entweder monetär, zeitlich oder gesundheitlich nicht geklappt, länger wegzufahren – wenn überhaupt. Und nun sollte dieser Urlaub nicht nur zwei Wochen dauern, sondern mich auch noch durch halb Südeuropa führen, genauer gesagt jeden Tag an einen anderen Ort.

Mit Behinderung samt Rollstuhl und einigen anderen speziellen Bedürfnissen ist das vor allem eine Frage der Planung. Darum haben mein Mann und ich im letzten Spätsommer minutiös zu planen begonnen, wie so ein Urlaub überhaupt aussehen könnte und überlegt, welche Dinge hilfreich wären. Wir haben eine Mappe angefertigt mit ausgedruckten Karten, falls unser Navi zusammen mit unseren Handys aus irgendeinem Grund den Geist aufgeben würde, mit den Buchungsbestätigungen der Unterkünfte und mit Listen von Orten, die man sich angucken könnte, incl. der Öffnungszeiten und der GPS-Daten. Wir haben Moltontücher für das Auto gekauft und diese blau eingefärbt, damit sie bei Sonneneinstrahlung nicht blenden würden, und die man als Schweißtuch, aber auch als Unterlegtuch für müde Beine benutzen könnte. Wir haben uns jeder ein Campingbesteck gekauft, für die Mahlzeiten unterwegs, und unser Auto mit Salz- und Pfefferstreuer ausgestattet. Wir haben uns darüber informiert, welche Arzeimittel man in Spanien mitführen sollte. Und last but not least habe ich eigentlich nur für diesen Urlaub damit begonnen, Spanisch zu lernen. Vielleicht spricht an dieser Stelle auch der Autismus aus mir, aber diese klar strukturierte Planung hat mir geholfen, die Reise vertrauensvoll zu beginnen.

Vom letzten August bis zum Beginn der Reise Mitte Mai habe ich es geschafft, mir Spanisch auf Niveau A2 beizubringen. Das war für mich insofern wichtig, als daß ich Nahrungsmittelunverträglichkeiten habe und den Gedanken, irgendwo in der Pampa keine Möglichkeit zur Kommunikation zu haben, zum Beispiel in einem Notfall oder bei einer Panne, unerträglich fand. Daß ich mich unsterblich in Spanisch verknallt habe, konnte ich nicht absehen, aber ich liebe diese Sprache wirklich sehr.

Für mich war der Zweck der Reise, mir den lang gehegten Wunsch der Pilgerfahrt nach Santiago zu erfüllen. Bereits mit 16 spürte ich, daß der Weg mich rief, aber meine damaligen Lebensumstände ließen es nicht zu, daß ich aufbrach. Rückblickend habe ich oft schon gedacht, daß ich es hätte machen sollen, aber 1993 fühlte ich mich zu jung und unerfahren, um einfach mal quer durch Spanien zu wandern. Hätte ich gewußt, was noch alles auf mich zukommen sollte, hätte ich es getan…

Später, als dann durch Hape Kerkeling der Pilgerhype losbrach, saß ich längst im Rollstuhl, doch diese alte Sehnsucht rührte sich stärker denn je in mir. Ich habe versucht, Pilgern auf meine Weise, in meiner Heimat, für mich möglich zu machen, und habe dabei sehr schöne, intensive Begegnungen gehabt und Erfahrungen gemacht, die ich nicht missen möchte. Dennoch fühlte es sich immer „nicht richtig“ an. Nur sah ich absolut keinen Weg.

In den letzten Jahren habe ich intensive Aufbauarbeit geleistet. Viel Yoga und Kraftsport gemacht, seit Januar gehe ich zwei- bis dreimal die Woche schwimmen. Auch mental habe ich stark an mir gearbeitet, und je stärker ich körperlich und mental wurde, desto mehr habe ich das Rufen des Weges vernommen. Ich weiß, es klingt total kitschig, aber genauso war es. Es ging soweit, daß ich spürte, daß es für mich keinen anderen Weg mehr geben kann, bevor ich diesen Weg nicht bewältigt hätte. Allerdings war an „echtes“ Pilgern, also an Wandern, nicht zu denken. Das werde ich in diesem Leben auch nicht mehr schaffen.

Daß mein Jakobsweg nun mit dem Auto und dem Rollstuhl bewältigt werden sollte, hat mich nicht einfach nur genervt. Es hat mich auf direkteste, brutalste Weise mit meiner Behinderung – die ich immer noch nicht akzeptieren konnte und wollte- konfrontiert. Es hat mich ungeschönt mit der Nase auf alles gestoßen, was in den letzten 12 Jahren gewesen ist.

Aber zurück zur eigentlichen Reise. Wie schon gesagt, haben wir jeden Tag ein Etappenziel gehabt, das es zu erreichen galt. Darüber hinaus hatten wir uns bestimmte Sehenswürdigkeiten herausgesucht, die teils optional, teils obligat waren. Uns war klar, daß wir in den acht Tagen, die wir insgesamt ins Spanien sein würden, nicht all die Dinge sehen und erleben würden, die Fußpilger durch ihr langsameres Tempo eben sehen und erleben würden. Auch damit mußte ich erstmal klarkommen.

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