Virtuelles Entrümpeln

Neulich fiel mir auf, daß ich jeden Tag mehrmals auf das Freundschaftsarmband sah, das ich für meine Freundin und mich gemacht hatte. Diese Freundschaft existiert seit Anfang des Jahres nicht mehr und das Bändel hat mich immer ziemlich ratlos gemacht. Wegwerfen wollte ich es nicht, auch aus dem Grund, weil das verwendete Material (Lava-, Edelstein- und Silberperlen) nicht billig war. Außerdem mag ich, wie es aussieht, und es kann ja nix dafür, daß die Freundschaft beendet wurde. Ich habe das Band also in meine Schmuckschatulle gelegt und ich hoffe, daß ich es eines Tages nicht als Symbol für eine weitere vergeigte Beziehung zu einem anderen Menschen, sondern als Zeichen dafür sehen kann, daß ich sehr wohl in der Lage bin, mich auf einen Freund einzulassen.

Nachdem das erledigt war, fielen mir plötzlich noch andere Dinge auf, die ich mit dieser Freundin verbinde. Manches davon wollte ich nicht weggeben (ich hatte mir z.B. eine Fleecejacke gekauft, die ihr so gut gefallen hat, daß ich ihr genau das gleiche Modell auch geschenkt habe), aber von anderen Sachen habe ich mich getrennt. Die Linie, die ich da gezogen habe, war ganz subjektiv auf einem Bauchgefühl begründet: was mir gefällt, das bleibt, und der Rest kommt weg. Dann bemerkte ich, daß immer, wenn ich mir selbst eine Mail schreiben wollte, ihr Name vorgeschlagen wurde, also habe ich sie aus meinen Kontakten gelöscht. Während ich das tat, sprangen mir die ganzen anderen Adressbucheinträge ins Auge, die ich schon lange nicht mehr benutzt habe. Das Ganze endete dann damit, daß ich meine Kontaktliste gesundgeschrumpft habe.

Bei der Gelegenheit dachte ich an alte Briefe, die ich auch noch auf dem Rechner abgespeichert hatte. Auch die habe ich gelöscht. Zusammen mit Uni-Dokumenten von vor über 20 Jahren, alten Gedichten, Geschichten und Notizen. Eigentlich hätte ich auch gleich gern meine Photos durchgeguckt, aber das ist etwas, das ich nicht in ein paar Stunden hinkriege, und ich habe tatsächlich gerade einfach keine Lust auf so ein Mammutprojekt. Kommt dann noch.

Auch bei WhatsApp und Skype habe ich radikal ausgedünnt. Mir leuchtet nicht ein, wozu man Kontakte behält, mit denen man seit Monaten oder gar Jahren nicht mehr geredet hat, vor allem wenn sich Menschen mit einem „ich melde mich dann“ verabschieden und sich de facto nie wieder melden. Einer Person, die sehr engagiert versucht hat, mit mir befreundet zu sein, habe ich unverblümt geschrieben, daß ich ihr keine Freundschaft bieten kann. Die Entscheidung ist mir schwergefallen, denn wie vermutlich jeder Aspie mache ich nicht eben die Erfahrung, daß sich Leute darum reißen, mit mir befreundet zu sein, aber ich merke halt deutlich, welche Kontakte einfach eine Menge Energie ziehen und welche mir guttun.

In den letzten drei Monaten habe ich bei zwei Plattformen, die ich oft (meist täglich) nutze, ein Experiment gewagt: ich habe in mein Profil reingeschrieben, daß ich kein Interesse an Kontakt habe und man mich bitte nicht anschreiben soll. Tatsächlich bekomme ich seither weniger Nachrichten, aber es sind immer noch etwa fünf pro Woche. Fünf! Pro! Woche! Das finde ich schon sehr abgefahren. Was für eine Reaktion erwarten Leute denn, wenn sie jemanden antexten, der klar schreibt, daß er keine Nachrichten haben will? Wie auch immer deren Wunschvorstellung aussieht, tatsächlich ignoriere ich sie vollkommen und reagiere nicht mehr auf Messages. Ich habe dadurch rausgefunden, wie viel Energie und Zeit es gefressen hat, diese unerwünschten Kontakte zu „bedienen“, denn ich war bei aller Genervtheit immer sehr höflich geblieben. Verrückt. Das mache ich jedenfalls weiter so.

Bei YouTube bin ich auch immer noch fleißig dabei, meine „später ansehen“-Liste abzubauen. Inzwischen bin ich bei unter 350 Videos angekommen. Einige davon werden in der Liste verbleiben, als Erinnerung an Kanäle, denen ich früher mal gefolgt bin und bei denen ich gern alle Jubeljahre mal vorbeigucke, oder auch als Hilfe zum Tracken meiner Lernfortschritte. Es ist cool, wenn man zu Beginn einer Lernreise ein Video anguckt und nix versteht, und ein Jahr später fast alles begreift. Den Großteil der Videos aber gucke ich mir an und lösche sie dann. Ich habe noch sehr viele Spanisch-Videos in der Liste und weiß nicht, was ich mit denen machen soll. Eigentlich brauche ich keine Grammatikübungen mehr – uneigentlich finde ich die aber hinreißend 🙂 Vielleicht reduziere ich das einfach ein wenig.

Das Gefühl, dieses virtuelle Gerümpel ausgedünnt zu haben, ist wirklich cool und befreiend (dabei finde ich, daß es gar nicht sooo viel war).

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